Neulich in Weimar: "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2"

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Dass "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" ausgerechnet in Weimar zur Uraufführung kam, klingt ebenso gruselig wie logisch. Im Auftrag des Kunstfestes Weimar und des deutschen Nationaltheaters Weimar inszenierte das Theaterkollektiv Rimini Protokoll ein Stück dunkeldeutscher Geschichte und brachte es in eben jener Stadt erstmalig auf die Bühne, zu der Hitler bedauerlicherweise eine ganz besondere Beziehung hatte.

 

Trotzdem man sich unter Christian Holtzhauers künstlerischer Leitung schon im Vorjahr beim Weimarer Kunstfest dieser unrühmlichen Verbindung auf besondere, beklatschenswerte Weise gestellt hatte, waren die Befürchtungen natürlich dennoch da.

 

Wie sollte "Mein Kampf", dieses als wirre Traktat geltende Buch, auf die Bühne gebracht werden? Wie würde man sich ihm nähern und dramaturgisch damit arbeiten können? Es einfach wegzulachen verbietet sich. Schließlich geht es nicht um eine Trennung oder eine Diarrhoe (im medizinischen Sinne). Sondern um Adolf Hitlers Hetzschrift.

 

Das wird man ja wohl noch fragen dürfen

 

Das Buch, das trotz einer Auflage von 12,5 Millionen kaum jemand gelesen haben dürfte oder gelesen haben will. Obwohl man es könnte. Es ist da. Verfügbar. Im Internet, antiquarisch, in den meisten Ländern ohnehin gedruckt. Ab Januar 2016 ist ein Nachdruck auch hierzulande legal möglich. Dann nämlich läuft der Urheberrechtsschutz von "Mein Kampf" aus.

 

Und da WIRD MAN JA WOHL NOCHMAL FRAGEN DÜRFEN: Wer würde es kaufen, wer würde es lesen wollen? Wer besitzt es bereits und wer hat es gelesen? Worauf beruht der Mythos und was kann ein symbolisches Verbot des Buches verhindern?

 

Genau das haben Helgard Haug und Daniel Wetzel vom Theaterkollektiv Rimini Protokoll gemacht. In einem groß angelegten Rechercheprojekt haben sie sich auf Spurensuche begeben, haben Fragen gestellt. Fragen, auf die in ihrer Inszenierung "Adolf Hitler: Mein Kampf Band 1 & 2" Menschen mit unterschiedlicher Expertise antworten.

 

Sie alle, die nichtschauspielernden "Experten des Alltags", wie sie bei Rimini Protokoll heißen, verbinden mit "Mein Kampf" ihre eigene Geschichte. Die sie erzählen. Mal beim ABC-Spiel (A sagen / Stopp rufen / zum gestoppten Buchstaben erzählen: beispielsweise zu V wie Volksverhetzung), mal nach einer Wurf-Adaption von "Reise nach Jerusalem" (wer "Mein Kampf" fängt und in der Hand hält, sobald die Musik stoppt, hat das Wort), mal in einem Ja / Nein / Vielleicht - Fragespiel (Würdest Du "Mein Kampf" in einem Café lesen? In einem Café in Tel Aviv?)

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Credit: Rimini Protokoll

Best of Hitler unterm Tannenbaum

 

"Mein Kampf"-Erfahrene, das waren die promovierte Frauenrechtlerin Sibylla Flügge, die als 14jährige ein Exzerpt zu "Mein Kampf" schrieb, das sie ihren Eltern unter den Tannenbaum packte. Eine Art Best of Hitler, wie ihr heute auffällt. Anna Gilsbach, die Jura mit Schwerpunkt Völkerrecht studierte und die Verbreitung des Buches strafrechtlich einordnet: Christian Spremberg, von Geburt an blinder Musikliebhaber, der mit Moderatorenstimme aus der 1933 erstellten Blindenschriftausgabe von "Mein Kampf" liest. Der provokationsaffine Anwalt Alon Kraus aus Tel Aviv, dem das verbotene Buch aus einer Schreibblockade während des Studiums half. Außerdem Matthias Hageböck, der als Buchrestaurator an der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar eine ganz eigene Erfahrung mit Bücherverbrennung machte. Und keinesfalls zu vergessen Volkan T Error, einer der Wegbereiter für türkischen Hip Hop, Hardcore und Metalcore in Deutschland. Macht viel, kann einiges, erzählt alles: So auch, warum er wegen Volksverhetzung angezeigt wurde und über seinen gemeinsamen Rap mit Deso Dogg, was allerdings fast prahlerisch wirkt und damit komplett unangebracht.

 

Politischer Diskurs und persönliche Erfahrung, das ist es, worum es bei der Rimini Protokoll Inszenierung geht. Und das in einem großartigen Bühnenbild: einer riesigen Bücherwand. Einer Art Klettergerüst-Wohnregal, mit Mischpulten, Arbeitsplatz, Besenkammer, mit ausklappbarem Zwischenboden und etlichen Bildschirmen. Ein überdimensioniertes 3-D-Multimedia-Wimmelbuch, über das mit der Thematik zusammenhängende Videos, Fotografien, Filmausschnitte und Interviews flimmern und das zusammengeklappt "Mein Kampf"- Buchrücken ist.

 

Ausverkauf mit Hitler

 

Gelesen wird aus der Hetzschrift zwar auch und Fakten gibt es reichlich: Trotzdem geht es weniger um den Inhalt des Buches, als eben um das Drumherum. Kein klassisches Sprechtheater; keine Lesung - sondern Dokumentation. Sicheres Fahrwasser für Rimini Protokoll, die als wichtigste Wegbereiter eines neuen Dokumentarismus im Theater gelten.

 

Mit Spannung wurde die Premiere erwartet und war - ebenso wie die anderen Vorstellungen von "Adolf Hitler - Mein Kampf Band 1 & 2" entsprechend schnell ausverkauft. Ob dies an Rimini Protokoll oder an Hitler lag, sei dahingestellt. Dass der Abend spannend, informativ, faktenreich und manchmal sogar lustig war, lag definitiv an der Inszenierung. Dass er aber ebenso einige Längen hatte, lag wohl an beiden: Inszenierung und Buch.

 

Und wenn dies das Statement ist, für etwas über zwei Stunden mit "Mein Kampf", dann ist der Mythos der Hetzschrift wohl keiner. Einen Nachdruck ab egal wann lehne ich dennoch ab. Und zwar mit Nachdruck! Sind genug Exemplare da, die lesen kann, wer will. Die Auflage nochmal steigern: Nein, danke!